in outdoor, photography

N 46° 6′ 48.40″ E 9° 3′ 41.81″, 1691 m.a.s.l. -S

Warum meine Träume Koordinaten haben.

N 46° 6′ 48.40″ E 9° 3′ 41.81″, 1691 m.a.s.l. Zugegeben: Ein etwas unüblicher Traum. Die Koordinaten zeigen auf einen einsamen, unbewohnten Flecken Grasland im Val Colla im Südtessin.

Immer wieder zieht es mich dahin, weit weg von der städtischen Metropole, hinaus  –  ‘into the middle of nowhere’.

  

N 46° 6′ 48.40″ E 9° 3′ 41.81″, 1691 m.a.s.l., ‘in the middle of nowhere’,
links: www.google.com, rechts: map.geo.admin.ch

27 kg Gepäck.

So leicht wie möglich, um in der Nacht nicht zu frieren.

Am 5. Mai 2016 ist es soweit. Der Aufstieg von Colla her ist schwer, brutal und steil. Ich habe nur das Notwendigste mit dabei: Im Rucksack sind Zelt, Footprint, Schlafsack, Schlafsackmatte, Kocher, Kochgeschirr, Messer, Kamera, Fernglas, Verpflegung für zwei Tage, warme Kleider. Alles ist auf das minimal Notwendige reduziert, um den Aufstieg so leicht wie möglich zu machen.

Es ist kalt.

Es ist kalt auf der Alpe Pietrarossa  –  es ist ja auch erst Mai, das Gras der Alp ist noch winterlich braun und flachgedrückt vom Schnee, der dieses Jahr einfach nicht wegschmelzen will. Ich rechne mit einigen Minusgraden in der Nacht.

Alpe Pietrarossa, 1548 m.a.s.l.

Die Alpe Pietrarossa ist zu dieser Jahreszeit noch unbewohnt. Ausser Murmeltieren sind keine Lebewesen in Sicht. Der Winter hat hart an der Fassade des Ziegenstalls genagt, ganze Teile der Wand sind durch die Kraft des gefrierenden Wassers abgesprengt und abgebrochen. Das Älplerleben ist hart.

Alpe Pietrarossa, 1548 m.a.s.l.

Unterwegs trage ich nur wenig Wasser mit, um das Gewicht nicht unnötig in die Höhe zu treiben. Mein kleiner Wasserfilter und ein paar leere Wasserbeutel mit einer Gesamtkapazität von insgesamt 3.5 Litern ermöglichen es mir, erst kurz vor meinem Übernachtungsziel an der letzten Wasserstelle Wasser aufzufüllen.

Mein Ziel liegt oberhalb der Alpe Pietrarossa weit abseits des Weges, mitten in einer grossartigen Berg- und Graslandschaft. Das Gelände ist steil, und es ist nicht ganz leicht, auch nur eine kleine, flache und für das Zelt geeignete Stelle zu finden. Direkt unterhalb dem Grat bei Pozzaiolo werde ich schliesslich fündig. Hier ist meine Traumstelle inmitten Heidekraut, dürrem Gras und den ersten blühenden Krokus.

In the middle of nowhere. Ziel erreicht.

Ich lege mich hin, mache ein paar Fotos der blühenden Krokus, spiele mit dem Licht, der Fokusebene, dem Bildwinkel. Dann lege ich die Kamera neben mir ins Gras und betrachte den Himmel. Wann habe ich mich zum letzten Mal ins Gras gelegt? War es letztes Jahr?

Knapp eine halbe Stunde später erwache ich wieder, weil eine Wolke vor der Sonne für kühlere Temperaturen sorgt. Unglaublich. Ich bin eingeschlafen inmitten blühender Krokusse!

Im Krokusfeld

Nichts. Niemand. Perfekt.

Hierher habe ich schon lange gewollt, ich habe immer wieder davon geträumt. Eine Übernachtung im Zelt, hoch über dem Alltag. In unvorstellbarer Stille. Nur das leise Säuseln des Windes ist zu hören; ein paar Vögel und in ganz weiter Ferne das schwache Rauschen eines Bergbaches. Ich bin allein.

Die Abendstimmung ist überwältigend. Schön weich moduliertes Licht streift die Bergrücken und lässt die Gräser mit hellem Farbsaum aufleuchten.

Gräser im Licht

Die Zeit zwischen dem Aufbau des Zeltes und dem Einbrechen der Nacht liebe ich. Ständig wechselndes Licht sorgt für dramatische Fotos, hält die Spannung hoch  –  die Gedanken beginnen zu schweifen.

Ich nenne diese Zeit “Think. Creative.”

Völlig losgelöst vom Alltag, vom Geschäft, fasziniert von einer fast unrealen Einsamkeit und Stille, ohne jegliche Ablenkung entstehen dabei viele kreative Ideen — private wie auch geschäftliche — neue Pläne werden geschmiedet, hindernde Knoten und Blockaden werden gelöst. Das ist Balsam für die Seele und den Geist. Warum gehe ich eigentlich nicht häufiger in die Wildnis hinaus?

(vergleiche dazu auch: “Dein bestes Sitzungszimmer ist outdoor.”)

Schatten und Krokus im Abendlicht

Val Colla im Abendlicht, Blick in Richtung Passo San Lucio

Bei Einbruch der Dunkelheit, wenn sich die Natur schlafen legt, wird die Stille noch stiller, kein Laut mehr – fast unvorstellbar. Sogar das leise Säuseln des Windes flacht ab, nur der ferne, ganz leise Bach ist noch schwach hörbar. Ansonsten komplette Stille. Wunderbar.

Die Nacht ist bitterkalt. In meinem Winterzelt und dem dicken flauschigen Winterschlafsack ist mir jedoch wohlig warm  – die gute Ausrüstung lohnt sich eben doch, auch wenn es zwei drei Kilogramm mehr an Gewicht ausmacht.

9 Stunden Schlaf.

Wohlig warm und danach erste Sonnenstrahlen. 6. Mai 2016. 06.00 Uhr.

Sonnenaufgang

Die Landschaft erwacht. Die ersten Sonnenstrahlen streifen die Bergrücken und tauchen die Landschaft in ein warmes Licht. Es wird schön heute.
Ich freue mich auf den Abstieg in die “Zivilisation” und auf meine tolle Familie. Meine Frau Arlette und unsere beiden Töchter Cécile und Olivia werden mich wohl kaum mehr wiedererkennen. Was doch 24 Stunden am richtigen Ort bewirken!

Sonnenaufgang, Blick Richtung Westen

Die ersten beiden Tiere, die ich heute sehe, sind ein Fuchs auf dem offenen Feld und ein Falke, der über mir kreist. Beide betrachten mich neugierig — sie fragen sich wohl, was der einsame Outdoorer hier in ihrem Revier sucht.

Beide haben meine “Think. Creative.”-Phase nicht gestört.

Beim Abstieg, oberhalb Barchi di Colla

Und die wichtigste Frage: Wofür steht das -S im Titel?

Das bleibt mein Geheimnis. Wer weiss, vielleicht werden Träume durchnummeriert? Ich freue mich schon jetzt.

Dass es auch mit einfacher Ausrüstung geht, beweist meine Ausrüstungsliste. Folgende Ausrüstung hält mich warm und ist noch tragbar:
– Zelt: Husky Falcon 2
– Schlafsack: Husky Anapurna
– Schlafsackmatte: Exped Synmat 9
– Rucksack: Lowe Alpine Cholatse II 65:75
– Kocher: BRS Titanium (25 g) und Propan/Butan Gas
– Wasserfilter: Sawyer Mini (danke für den Tipp, @Joachim Kevin Reif)

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  1. Danke Peter Lanz, danke jVoTo. Es braucht nicht viel, seine Träume zu verwirklichen, nur den Kick, es endlich zu tun. In meinem beruflichen Umfeld beschäftige ich mich häufig mit dem Phänomen, dass viel, viel, wirklich viel geplant wird, etwas zu tun, um es dann doch nicht zu tun.

Webmentions

  • Ultralight Family Trekking – top. – speckund.me January 25, 2018

    […] Solo Trekking hoch zur Alpe Pietrarossa (siehe hier, hier, hier, hier – ich liebe die Alpe Pietrarossa – immer wieder!) – […]